Reality Check
Als Übersetzerin dieses Newsletters, begleite auch ich Monat für Monat indirekt die Bewohner des Kinderheims „yo quiero ser…“ und kann ein wenig an ihrem Alltag teilhaben. Wenn Patricia in der Schweiz auf Besuch ist, versuche ich sie an Veranstaltungen zu begleiten und setze mich stets, wohlwissend meiner emotionalen Natur, in die hinterste Reihe, um meine Tränen der Bewunderung und Betroffenheit gut verbergen zu können. Dieses Gefühl der Betroffenheit liess mich stets im Glauben, dass auch ich mich wie Patricia mehr engagieren müsste für die Schwächsten der Gesellschaft, dass mein Pfad welcher ich in der Realwirtschaft eingeschlagen habe vielleicht doch nicht das Richtige ist für mich. Mir war bewusst, dass ich dem auf den Grund gehen musste und bin kurzentschlossen nach Honduras gereist.
Nach einem herzlichen Empfang frühmorgens am Flughafen von San Pedro Sula, nach dem Patricia bereits 35 Kinder in die Schule geschickt hat, fuhren wir in Richtung Kinderheim, vorbei an amerikanischen Fastfood Restaurants, internationalen Hotelkomplexen und makellos erscheinenden Einkaufscentern. Mein Erstaunen ist Patricia nicht entgangen und sie versicherte mir, dass sich das „wahre“ Honduras in Windeseile präsentieren wird und so kam es auch. Als wir zum ersten Mal in eine Seitenstrasse abbogen, waren die Gebäude nur noch einstöckig, Fensterscheiben verwandelten sich in Gitterstäbe und die schmucken Vorplätze müssen den Abfallbergen weichen. Obwohl mich der erste Eindruck verblüffte, war ich froh, das zu erwartende Honduras doch noch gefunden zu haben.
Angekommen im Kinderheim, wurde ich von den jüngsten Heimbewohnern in Empfang genommen. Ich war überwältigt von den süsslächelnden Kleinkindern und wurde sofort in ihren Bann gezogen. Ein kleiner Junge hat innert Kürze mein Herz erobert, er wich vom ersten Moment bis zum Abschied nie wieder freiwillig von meiner Seite. Ich war angekommen und vergass in diesem Moment alles um mich herum.
Nach dem ich die Heimmitarbeiter, bestehend aus zwei Köchinnen, einer Reinigungskraft, vier Erzieherinnen, einem Fahrer und dem Wachmann, kennengelernt habe, tauchte ich in Patricias Welt ein. Sie war beschäftigt mit administrativen Herausforderungen, ich nenne es ein bürokratischer Wahnsinn, welche sie mit grösster Effizienz und Pragmatismus abzuarbeiten weiss. Ich realisierte schnell, dass die Uhr unaufhörlich tickt, entweder kann Patricia die Pendenzen während dem morgendlichen Zeitfenster erledigen, wenn die Mehrheit der Kinder in der Schule ist, ansonsten gibt es Nachtschichten, denn die Schulkinder kommen kurz nach 12h00 nach Hause und dann wird gegessen und anschliessend Hausaufgaben erledigt. Ab dem Moment, wo die ersten Kinder in Patricia’s Büro stürmten, wusste ich, jetzt kann der Laptop zur Seite geschoben werden. Jedes einzelne Kind begrüsste Patricia, gab einen Kurzabriss vom Schulalltag zum Besten und stellte sich den fürsorglichen Fragen ihrer Mamma Pati. Nach ca. dem zehnten Kind wurde mir bewusst, dass Patricia tatsächlich alle Stundenpläne auswendig kennt, dass sie stets im Bilde ist welche Prüfungen bei wem anstehen und was für Themen zurzeit in den unterschiedlichen Fächern durchgenommen werden. Ich war schlichtweg sprachlos.
Die Kinder haben mich alle mit offenen Armen begrüsst und obwohl ich kaum Spanisch spreche, stets versucht mehr von mir zu erfahren und mich in ihrem Alltag zu integrieren. Ihre Herzlichkeit bescherte mir manches feuchte Auge.
Unter der Woche war der Ablauf stets gleichbleibend. Nach dem gemeinsamen Lunch ging es an die umfangreichen Hausaufgaben. Patricia ist es sehr wichtig, dass die Kinder schulisch ihr Bestes geben und ideal unterstütz werden beim Lernen. Ich übernahm die „Englischförderung“. Zu meinem grossen Erstaunen investieren alle Schüler täglich mindestens drei Stunden in ihre Hausaufgaben und in‘s Lernen. Kein einziges Kind sträubte sich, es war nie ein Diskussionspunkt, dass am Nachmittag die Zeit nicht für die Schularbeit genutzt wird. Den Kindern scheint es ganz bewusst zu sein, dass sie damit aktiv ihre Zukunft beeinflussen können.
Bevor das Abendbrot serviert wird, dürfen sich die Kinder noch austoben, zurückziehen oder sich liebevoll um die kleineren Bewohner kümmern. Ich mochte diese Momente der Ausgelassenheit, Glückseligkeit und Sorglosigkeit am besten. Nach dem Abendessen werden jeweils die letzten Ämtlis erledigt und schon bald gehen die Primarschüler in’s Bett. Die Grösseren geniessen dann ein Moment der Ruhe und tauschen sich mit Patricia und den Erzieherinnen über das Leben aus.
Kurz vor fünf Uhr ist Tagwache. Ich durfte jeweils die Mädchen beim Frisieren unterstützen. Alle Schulkinder werden früh zur Selbstständigkeit erzogen. Alle müssen selbstständig die rotierenden Aufgaben erfüllen, sei es das Bad kurz reinigen, Betten, Boden wischen oder Mithelfen beim Frühstückstisch aufdecken. Der Zeitplan ist am Morgen straff und perfekt durchgetaktet. Um sieben Uhr werden die Kinder zur Schule gefahren und wir widmeten uns für eine Weile den Kleinsten, bevor wir uns in Patricias Büro zurückzogen um der Administration unsere Aufmerksamkeit zu widmen.
Die Tage sind intensiv, die Zeit verfliegt im Nu, dennoch gelingt es Patricia auf magische Art und Weise jedem einzelnen Bewohner den Moment der ungeteilten Aufmerksamkeit zu widmen. Die Geborgenheit und das tiefe Vertrauen, welches Patricia den Kindern gegenüber aufbringt ist der Grundstein für eine gesunde Entwicklung und eine emotional stabile Zukunft. Sie und ihr engstes Team von Vertrauten, schaffen es, diesen schicksalsgeprägten Kindern Hoffnung und Perspektiven zu bieten mit dem so einfach erscheinenden Konstrukt von Zugehörigkeit und Struktur, konditionslose Liebe und nachhaltigen Regeln für den Alltag. Ich bin zutiefst beeindruckt und ziehe ehrwürdig den Hut vor Patricia, sie leistet Übermenschliches um den Menschen von Honduras erneut den Mut in die Menschlichkeit zurückzugeben.
Auf dem Rückflug nutzte ich die Zeit um das Erlebte revue-passieren zu lassen. Ich kam mit dem Wunsch nach Honduras, für mich herauszufinden ob Patricias Mission auch meine sein könnte. Dem ist bedauernswerterweise nicht so. Patricia hat etwas Einmaliges erschaffen und ihren persönlichen Pfad gefunden. Ich werde sie aber weiterhin mit viel Passion unterstützen, wo immer dies möglich ist und versuchen die guten Taten mit Menschen zu teilen, welche auch einen Beitrag, in welcher Form auch immer, zum Lebenswerk von Patrica beitragen können. Mein Pfad ist noch nicht in den Stein gemeisselt aber eines ist sicher, er wird sich immer wieder mit Patricia und ihren Heimbewohnern kreuzen.
Un sincero agradecimiento desde el fondo de mi corazón a las personas que hacen “yo quiero ser…” en el lugar donde está.